www.axelufermann.de
Carl Schmitt: Zur geistesgeschichtlichen Lage des Parlamentarismus

Universität Hannover. Institut für Politische Wissenschaft
WS 2000/01. Einführung in die Politische Wissenschaft I
Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Struktur und politischer Verfassung
Prof. Dr. Joachim Perels
Von: Axel Ufermann, Ulf Keller und Matthias Frederichs

Gliederung:

1. Biografie
2. Textzusammenfassung
3. Thesenpapier
4. Diskussionspunkte

1. Biografie

In kleinbürgerlichen Verhältnissen wurde Carl Schmitt am 11. Juli 1888 in Plettenberg/Sauerland geboren. Der Sohn eines Kirchenkassenverwalters studierte ab 1907 Rechtswissenschaften und promovierte 1910. Nach seinem Studium war er an verschiedenen deutschen Universitäten tätig. Schmitt unterhielt enge Kontakte zum Jungkatholizismus, was sich in seinen frühen Schriften bemerkbar machte (Politische Theologie, 1922). Im Jahre 1928 wechselte er an die Handelshochschule Berlin. Dort entwickelte er seine Kritik am Parlamentarismus und  die Theorie vom unantastbaren Wesenskern der Verfassung. Er hatte engen Kontakt zu Regierungskreisen, so unter anderem zu Franz von Papen oder Kurt von Schleicher. Er wurde zum Vordenker der Präsidialdiktatur; dies gipfelte darin, dass Schmitt 1932 die Regierung beim so genannten Preußenschlag-Prozess vor dem Staatsgerichtshof vertrat.
Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verlor Schmitt an politischen Einfluss, aber innerhalb kurzer Zeit wandelte er sich zum Staatsrechtler des frühen nationalsozialistischen Staates. Er wurde am 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP, wurde Preußischer Staatsrat und übernahm noch weitere Ämter. Er legte das Ermächtigungsgesetz als vorläufige Verfassung aus und verteidigte die Gesetzmäßigkeit der so genannten nationalsozialistischen Revolution.
Er forderte, juristische Literatur jüdischer Autoren nicht mehr zu zitieren, zumindest aber mit einer entsprechenden Kennzeichnung zu versehen.
Ende 1936 verlor Schmitt alle seine Ämter außer seiner Professur und dem Staatsratstitel, da die SS auf ihn aufmerksam geworden war aufgrund seiner früheren Kontakte zum Jungkatholizismus und zu Franz von Papen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Schmitt einige Zeit in Untersuchungshaft, danach lebte er zurückgezogen in seinem Geburtsort Plettenberg. Dort starb er am 7. April 1985.
Carl Schmitt gilt als umstritten: Nach 1945 wurde er geradezu tabuisiert, galt als Kronjurist der Nationalsozialisten. In den 1960er Jahren erlebten seine antiparlamentarischen Theorien eine Renaissance, heute bemüht die wissenschaftliche Diskussion sich um eine differenzierte Betrachtungsweise.

2. Textzusammenfassung:

Die Prinzipien des Parlamentarismus

„Die geistesgeschichtliche Lage des Parlamentarismus“ ist die Antwort auf Ausführungen von Richard Thoma1 über die parlamentarische Demokratie.

Bereits durch seine einleitende Bemerkung, eine wissenschaftliche Erörterung sei in der Zeit der Weimarer Republik fast ausschließlich von parteipolitischen Interessen gelenkt, deutet Carl Schmitt den Kern seiner Parlamentarismuskritik an.

Für ihn sind Diskussion und Öffentlichkeit (...) die wesentlichen Prinzipien des Parlaments (vgl. S.5) und bilden somit die geistige Grundlage. Diese Gesetzmäßigkeiten jedoch sind in der Weimarer Republik, laut Schmitt, entfallen, da nur neue Erwägungen aber keine prinzipiellen Argumente seit 1848 hervorgebracht wurden. Durch diesen Verlust von Grundlage und Sinn stellt er die Frage, wie der heutige Parlamentarismus noch gerechtfertigt werden kann.
Allgemein ist es möglich die Republik in zwei  Ideen zu unterscheiden:
1. die liberal-parlamentarische und
2. die massendemokratische.
Hierdurch wird seine bereits wertende Differenzierung zwischen der nützlichen Regierungsmethode (dem Parlamentarismus) und der Demokratie deutlich.
Juristen wie Richard Thoma zielen in die falsche Richtung, indem sie versuchen aus Zwecken Prinzipien zu machen. Nicht die Immunität der Abgeordneten oder die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen können den Autoren darüber hinwegtäuschen, dass es aufgrund der fehlenden öffentlichen Diskussion keine neuen Prinzipien gibt. Einfache Verweise auf Schriften von Max Weber2, Hugo Preuß3 und Friedrich Naumann4 reichen demnach nicht aus, neue Prinzipien oder Grundsätze zu deklarieren. Diese Autoren haben, laut Schmitt, nur das eine Ziel, und zwar durch das Parlament eine politische Elite herauszubilden. Die einzige Konsequenz daraus wäre dann, dass alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute- und Kompromissobjekte von Parteien und Gefolgschaften verwandelt werden.

Diskussion bedeutet einen Meinungsaustausch, der von Zwecken beherrscht ist, den Gegner mit rationalen Argumenten von einer Wahrheit und Richtigkeit zu überzeugen oder sich von der Wahrheit und Richtigkeit überzeugen zu lassen (vgl. S.9).
Diese Art des Meinungsaustausches, zum Beispiel zur Erstellung von Gesetzen, findet in der Weimarer Republik, so Schmitt, nicht statt. An ihre Stelle tritt bloßes Verhandeln interessenorientierter und machtbesitzender Gruppen. Gerade die Bindung von Repräsentanten an Parteien, die nach Gewinnchancen und persönlichem Interesse handeln, machen aus dem Satz, ein Abgeordneter handle im Sinne des ganzen Volkes, eine reine Utopie.

Die kritische Lage des Parlamentarismus entsteht in der modernen Massendemokratie, da sie die argumentierende öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht hat. Somit ist der Parlamentarismus praktisch funktionsunfähig und nur noch Fassade eines Systems.
Die Massendemokratie besteht aus mehreren Machtgruppen in Politik, Wirtschaft usw., die das ganze Volk mittels Propaganda lenken. Sie herrschen durch Suggestion, wodurch jede wahre öffentlich Diskussion entfällt. Der zusätzlich auftretende Konkurrenzkampf der Parteien und Verbände führt dann zu einer Zersplitterung des Staates. Aus diesem Grunde lehnt Schmitt das pluralistische System in der modernen Demokratie ab.
Bei bloßer praktisch-technischer Betrachtung des Parlaments, warnt er schließlich, könnte durch irgendein Verfahren das Herrschaftssystem kippen, woraufhin das Parlament all seinen Einfluss verlieren würde. Dazu bedarf es nicht einmal einer Diktatur.

* * *

Moderne Massendemokratie setzt sich nach Carl Schmitt aus zwei voneinander zu unterscheidenden Elementen zusammen: Den Liberalismus und die Demokratie. Parlamentarismus als wesentliches Element einer „government by discussion“ gehört dem Autor nach „ in die Gedankenwelt des Liberalismus“ (vgl. S. 13).

Als eine der Grundlagen der Demokratie erachtet Schmitt eine Einteilung der vom Staat beherrschten Bevölkerung in die Begriffe der Homogenität und Heterogenität (vgl. S.14). Seit dem 19. Jahrhundert besteht diese nach Schmitts Auffassung „ vor allem in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation“ (vgl. S. 14), der nationalen Homogenität. Notwendigerweise gehört zur Demokratie auch die Exklusion oder die Inhibition des heterogenen Teils der Bevölkerung.

Demokratie hört nicht auf, Demokratie zu sein, wenn sie einen Teil der von der Staatsgewalt beherrschten Bevölkerung aus der Substanz der Gleichheit ausschließt. Das allgemeine und gleiche Wahl- und Stimmrecht entspricht der inhärenten Gleichheit der Staatsbevölkerung, nicht einer allgemeinen Gleichheit aller Menschen als Gleiche. (vgl. S. 15f.)

Die Ungleichheit der Menschen lässt sich nach Schmitt in politischen Kategorien zusammenfassen, die auch innerhalb des Kreises der Staatsangehörigen ihre Anwendung finden: z.B. Regierende oder Regierte, politisch Verbündete oder Gegner. (vgl. S. 17)
Eine Negierung dieser Ungleichheit mit der Folge der entwertenden Gleichheit Aller würde die Entwertung der Politik als solche nach sich ziehen; denn wo faktische Gleichheit herrscht, kann kategorisierende und differenzierende Ungleichheit nicht als (notwendiger)  Bestandteil von Politik existieren. (vgl. S. 17f.)

Die Gleichheit aller Menschen als Menschen ist nicht Demokratie, sondern eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform sondern individualistisch- humanitäre Moral und Weltanschauung (vgl. S. 18) –  für Schmitt ist, nach Rousseau, Demokratie nicht Gleichheit, sondern Homogenität. Rousseau ist im Sinne des Liberalismus falsch interpretiert worden, indem der Vertragsabschluss unter freien Gleichen als Demokratie ausgelegt wurde. Somit führt Schmitt den Demokratie-Konstrukt des Liberalismus ad absurdum.

*   *   *
Die moderne Massendemokratie versucht eine Identität von Regierenden und den Regierten zu entwickeln; das Parlament ist in dieser Beziehung aber eine veraltete Institution.
Carl Schmitt sagt, dass man drei Krisen Unterscheiden kann, und zwar:
1. Die Krise der Demokratie (M. J. Bonn),
2. Die Krise des modernen Staates (Alfred Weber) und
3. Die Krise des Parlamentarismus
Die Krise des Parlamentarismus hat ihren Grund in der Verbindung von Demokratie  und Liberalismus. Beide politischen Richtungen können zwar eine Zeit nebeneinender
existieren, aber sobald sie zur Macht gekommen sind, muss sie sich zwischen ihren beiden Grundelementen entscheiden.
Kommunismus und Faschismus seien, wie jede Form der Diktatur, zwar antiliberal, jedoch nicht  folgend undemokratisch
„Die einstimmige Meinung von 100 Millionen Privatleuten“ ist weder der Wille des Volkes noch die öffentliche Meinung. Zuruf, „Acclamatio“ oder selbstverständliches, unwidersprochenes Dasein seien bessere Mittel, den Willen des Volkes demokratisch zu äußern als durch einen „statistischen Apparat.“
Die Krise des heutigen Parlamentarismus ist nicht durch das Vorhandensein von Faschismus und Kommunismus entstanden. Sie entstammt den Vorstellungen der modernen Massendemokratie.
„Es ist der in seiner Tiefe unüberwindliche Gegensatz von liberalen Einzelmensch-Bewusstsein und demokratischer Homogenität.“

3. Thesenpapier:

Thesen:
1. Parlamentarismus ist im Zeitalter der modernen Massendemokratie nicht funktionsfähig.
2. Parlamentarismus gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus, nicht zur Demokratie.
3. Nicht Faschismus oder Kommunismus sind die Ursache für die Krise des Parlamentarismus, sondern die gedankliche Inkohärenz von Demokratie und Liberalismus.

Gegenthesen:
1. Moderne Massendemokratien und Parlamentarismus sind miteinander vereinbar.
2. Parlamentarismus ist eine Form der Demokratie, siehe Bundesrepublik Deutschland.
3. Demokratie und Liberalismus behindern den  Parlamentarismus nicht, sondern befruchten die demokratische Ideenkonkurrenz.

4. Diskussionspunkte:
1. Hat die gedankliche Inkohärenz von Demokratie und Liberalismus den Untergang der Weimarer Republik verstärkt? Ist eine „nationale Homogenität“ die Alternative dazu?
2. Können Schmitts Thesen als Rechtfertigung für die nationalsozialistische Machtübernahme gesehen werden?



Meine Vita | Referate/Hausarbeiten | Studientipps | Bilder | Witze | Forum | Surftipps | Statements | Contact

Copyright by Axel Ufermann, Hannover
www.axelufermann.de
Stand: 27-09-2001