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Solon F 3D, Stahl, Michael

Solon F 3D (Übers. Stahl)
anhand des Aufsatzes Solon F 3D. Die Geburtsstunde des demokratischen Gedankens
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Das Solon-Gedicht F 3D, das sog. Eunomia-Gedicht, stellt eine wichtige Quelle für die archaische Zeit Athens dar. Michael Stahl versucht in seinem Aufsatz den Inhalt und die Struktur des Gedankengangs von Solon zu untersuchen und ihn aus der Sicht des Historikers zu interpretieren. Dabei ist die Leitfrage, in wie weit Solons Gedicht in der historischen Situation, für die es geschrieben wurde, von seinem Verfasser wie von seinen Hörern verstanden wurde. Weiterhin untersucht Stahl die Rolle des Gedichtes für die athenische Geschichte.
Es kann nicht als sicher gelten, dass das Gedicht, so wie es uns vorliegt, auch mit diesen Worten beginnt.

I. Inhalt und Struktur des Gedichts, Solons Gedankengang:

1. Solon sieht sein Gedicht als einen Text (Aufruf) an alle Athener. (vgl V. 30)
Solons These: Die Götter würden den Bestand Athens niemals gefährden, Pallas Athene sorge dafür, dass die Stadt niemals untergehen werde (vgl V. 4).

2. Da nicht die Götter an dem Zustand Athens Schuld sind, muss der Grund irdisch, also in Athen selbst zu finden sein. Solon konzentriert sich von dieser These ausgehend auf die irdische Ursache der Dysnomie-Situation (V. 5).
Solon diagnostiziert, dass die athenischen Bürger selbst Schuld an ihrem Zustand seien (vgl. V 5/6); bis V. 29 detailliert er dann den Zustand Athens, begründet ihn und zieht Schlussfolgerungen. V. 5 – 29 ist der quantitativen Hauptteil des Gedichts.
a) V 5 – 14:  Solon zählt die Fehler der Bürger auf, durch die seines Erachtens das Gemeinwesen in den Ruin getrieben würden. Es seien Mängel in der moralischen Einstellung vorhanden, dabei seien die Adeligen, die mit Torheit der Verlockung nach Reichtum erlegen sind (V. 5/6), die Unrechtbegehenden. Die Taten der Bürger werden von Solon wie folgt beschrieben: Angetrieben von Unverstand (V. 5) und Habgier (V. 6), auch der Volksführer „ungerechter Sinn“ (V. 7) verursachen sie den Zustand Athens: Das Volk sei dabei aber nur ein passiver Mitläufer, die Adeligen die aktiv Handelnden: „ungerechter Sinn“ der Volksführer (V. 7), großer Frevel (V. 8), zügellose Gier
(V. 9) Übermaß, Übermut und Götterfrevel (V. 10 – 14).
Solon beschreibt mit Hilfe von drei Bilder (Metaphern) das Leben der Adeligen in seinem Gedicht:
1.Bild: Das gemeinsame Mahl (Gelage) ist der Kernbereich des  gesellschaftlichen und politischen Lebens der Aristokratie (V. 9/10).
2. Bild: Die Reichen vergreifen sich in krimineller Weise an den Gütern der Gemeinde, ja sogar an denen der Götter (V. 12/13).
3. Bild: Die Adeligen machen auch vor den Fundamenten der Dike nicht halt; dadurch vernichten sie die herkömmliche Ordnung der Gemeinde und  begehen damit einen Gottesfrevel (V. 14).
Damit berührt er mehrere Handlungsfelder der Adeligen in Gesellschaft und Politik. Der Gier nach Reichtum sei nach Solon ein politische Sünde. Er reiht hier symptomatische Bilder aneinander, zählt aber nicht systematisch auf.
b) Die Göttin Dike, die nach den V. 1 – 4 ja nur Gutes mit Athen im Sinn habe, leitet in V. 14 zu einer grundsätzlichen Überlegung über (V. 15 – 17):
· Dike ist eine mächtige Göttin, die alle Voraussetzungen und die Vollmacht bei Solon besitzt, selbständig einzuschreiten – sie ist unabhängig von menschlichem Handeln
· Solon ist fest von der Rache der Göttin überzeugt (V. 16)
· „Faktor Zeit“: Sie wird die Übeltäter bestrafen, vielleicht auch deren Nachkommen, der athenische Zustand aber ist nicht die Strafe, denn er ist die Folge menschlichen Handelns
(V. 16. „mit der Zeit“)
c) Zwei miteinander zusammenhängende Gefahren bedrohen Athen (V. 17 – 25):
· Innere Auflösung durch den Verlust der Bürgerschaft (durch Kampf, Versklavung) und durch Zerstörung der traditionellen Sozialverbindungen in der stasis.
· Unterdrückung und Knechtschaft, innenpolitisch durch eine drohende Tyrannis, außenpolitisch durch eine Intervention einer fremden Macht
d)  Solon zieht den Schluß aus alledem (V. 26 – 29):
· Der Missstand betrifft alle Athener (V. 26)
· Sich auf seinem oikos zu verstecken schützt nicht vor Bestrafung (V. 29)
· Auch der eigene oikos ist betroffen von den Zustand
Stahl: „ Solon hat die Erkenntnis des gesamten irdischen Geschehenszusammenhanges als gemeingültiges Gesetz formuliert.“ (S. 394)

3. Der konzeptionellen Angelpunkt des Gedicht ist V. 30: „Dies die Athener zu lehren, befiehlt mir mein Herz.“
In Solons Gedanken gibt es drei Elemente:
a) Solon will seine Hörer belehren. Die Voraussetzung dafür ist, dass er selbst Einsichten hat, über die seine Zuhörer (noch) nicht verfügen. Es geht um die Krise der Stadt und um Möglichkeiten, diese beizulegen.
b) Solon stützt sich auf seine eigene Erkenntnis: Da die Krise von den Menschen selbst herbeigeführt wurde, kann sie auch von ihnen selbst gelöst werden.
c) Solon nennt sich selbst einen Lehrer seiner athenischen Mitbürger und fordert sie zum Handeln auf

4. Gegenüberstellung von Eunomie und Dysnomie (V. 31 – 39):
Eunomie: etwas, was allein vom Menschen ausgehen soll und muss; dauerhaft; wohlgeordnet; Kraft der Menschen, ihr falsches Verhalten zu ändern, kein Zustand, sondern Merkmal eines dynamischen Veränderungsprozesses; verkörpert die Gesamtheit der Tätigkeiten der Bürger, das Los ihrer Gemeinde zu verbessern: neue Moral
Dysnomie: grundsätzliche moralische Fehlorientierung der Bürger; Torheit und Passivität, Gier und Reichtum; „daß Dysnomie der Stadt sehr viel Unglück bereitet“ (V. 31)

II. Bedeutung von Solons Gedicht für die athenische Geschichte

1. Solon entfaltet drei Grundgedanken, und möchte diese auch dem Hörer vermitteln:
Er hat die Erkenntnis, dass es einen von göttlicher Einwirkung freien irdischen Kausalzusammenhang zwischen menschlichem Fehlverhalten und zerstörerischer Entwicklung in der Gemeinde gibt – allerdings gibt es auch einen Weg aus der Krise. Solon fordert, dass die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens in der Gemeinde durch deren Mitglieder selbst gestaltet und bestimmt werden solle. Die solonischen Reformen sind daher breit angelegt: „Rechtspflege und Gesetzgebung, soziale und wirtschaftliche Maßnahmen, politische Institutionalisierung, Außenpolitik, kulturelle Integration.“ (S. 399) Von seinen Reformen blieben viele auch in der Folgezeit bestehen.
- Grundvorstellung, dass die Gemeinde als einheitliches Ganzes denken müsse
- Forderung, dass das Streben nach Reichtum jedes Einzelnen nach Reichtum eingedämmt werden müsse
- Versuch, den Bürgerstatus das erste Mal rechtlich zu umschreiben
Solon erkennt damit die entscheidenden Bedingungen der athenischen Polis:
· Umfassende Gestaltungsmacht über die Ordnung der Gemeinde
· Postulierte Ausgrenzung eines politischen Raumes
· Entdeckung der Bürgerschaft als zentrale Größe der Polis
2. Alle Mitglieder der Gemeinde sind elementar von  den Missständen betroffen und alle haben daran eine Mitschuld. Allen mangelt es an einer realistischen Einschätzung ihres eigenen Verhaltens im Zusammenhang mit dem der anderen. Solon zeigt den Athenern zwei Hauptfehler auf:
· Ausschließliche Konzentration auf ihren eigenen oikos
· Maßlose Gier nach Reichtum

3. Übernahme von Verantwortung als Bürger: Solon sieht ein, dass die neue Bürgermoral nicht nur vom Verstand akzeptiert werden, sondern auch in tieferen Schichten der menschlichen Psyche verankert sein müsse, um dauerhaften Bestand zu haben. Wege:
· Anbindung der politischen Ethik an die traditionellen religiösen Kräfte
· Solon will mit Hilfe seiner Dichtung die Herzen der Bürger erreichen

Zusammenfassung:
Solon entwirft das Konzept einer politischen Sphäre, in der die gesamte Bürgerschaft die Geschicke des Gemeindewesens bestimmen soll. Die Richtschnur seiner politischen Ethik ist dabei das Wohlergehen der Bürgerschaft: Die Bürger müssen ihre Identität als Bürger erkennen, ferner müssen sie sich über die Grundlagen ihres Bürgerseins klar werden.
Für Solon sind die Eckpfeiler des Bürgerstaates:
· Erkenntnis vom Primat der Politik
· Bedeutung politischer Ethik
· Funktion der Poliskultur

Stahl: „Solons Eunomia-Gedicht möchte ich daher als die Geburtsurkunde des Bürgerstaates nennen.“ (S. 406)

Begriffserklärungen :
· Pallas Athene: Tochter des Zeus, griechische Göttin, Schutzherrin Athens
· Hybris: Übermut, nach griechischer Vorstellung anmaßender, frevelhafter Übermut des Menschen, der sich über die von der Gottheit gesetzten Schranken hinwegsetzt
· Dike (Grundfesten der Dike): griechische Göttin der Gerechtigkeit; in Athen war Dike der allgemeine  Rechtsbegriff für öffentliche und besondere private Klagen.
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· Oikos : Haus, den Lebensraum der Familie sowie Wirtschaft und Besitz an Vieh, Waffen und alle sonstigen beweglichen Gegenstände
· Dysnomie : siehe I. 4.
· Eunomie : siehe I., 4.


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Stand: 27-09-2001